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DIALOGEzwischenAUGENBLICKEN copyright jochen k.gerberding 2004

                                "SZENEN   ANGST" 1

ich habe das gefühl
den gedanken
die absicht
eine möglichkeit ins auge zu fassen
                                       in die hand zu nehmen
um mich zu verstehen
zu erklären
zu verändern
zu verwirklichen
um endlich meine Unsicherheit
     mein zögern
     meine angst
zu verschütten
zu bekämpfen
zu besiegen.
es gibt tage da lebe ich nur in kurzen episoden

...nun stell' dir doch mal vor, wer du wohl wärest,
wenn du deinen Scheitel auf der anderen seite trügest und auch anders hießest!

lust lebendig begraben zu sein
Sehnsucht nach wärme in mir
angstlos vor nervosität
stille als gespräch
ruhe im kopf

tagsüber habe ich das gefühl verloren kopf und körper verbinden zu können...



                               "SZENEN   ANGST" 2
Ich will meine Unsicherheit aus mir herausschreien, aus mir herausfliehen,
um mich umarmen zu können, andere spielen,
damit ich die anderen in mir begreife, mich auf den Boden werfen,
damit Kopf und Körper endlich eins sind, endlich lieben, wen ich will, mich lieben,
um mich einigermaßen überleben zu können.
Aber ich will auch mal lachen, schreien, weinen, mich herzhaft
prügeln, albern sein, blöde grinsen, denken zeigen, hassen, überhaupt nichts sagen, Radau machen, mich still umarmen, mal ein anderer sein, mal ich sein, Zeit vergessen, vielleicht auch dich, mich endlich auch mal frei bewegen und
ohne diesen verdammten • Knüppel • verdammten im Nacken!!!!!

Legt die Krücken auf den Boden, tanzt, werft die falschen Gebisse über die Schulter,
 flucht, trennt die Sorgen aus den Gesichtsfalten, lacht, amputiert die Hoffnungslosigkeit,
...spuckt, spuckt gegen die Angst!



                                "SZENEN   ANGST" 3

MIR MEINER PERSON / MEINER AUSDRUCKSMÖGLICHKEITEN BEWUSST WERDEN / BEWUSSTSEIN FÜR MEINE WIRKUNGEN / DIESE ZIELGERICHTET EINSETZEN / DANN WIE SELBSTVERSTÄNDLICH LOSLASSEN / UND ROLLE SEIN / NICHT ROLLE SPIELEN / SONDERN SICH DARÜBER IM KLAREN / WAS MIR PERSÖNLICH GESCHEHEN MÜSSTE UM  ROLLENANFORDERUNGEN EINZULÖSEN / WAS IST MIR WANN WIE PASSIERT? / MUSS IN MICH HINEINHORCHEN / WAHRNEHMEN / GRÜNDE WISSEN / MICH ANNEHMEN! / THEATER SPIELEN HEISST AUCH SICH LIEBEN /  UND  WENN ICH MICH LIEBEN KANN / KANN ICH AUCH ANDERE LIEBEN / AN MICH HERANLASSEN / MEIN PUBLIKUM / UND OFFEN SEIN FÜR KRITIK / POSITIVE / FÜR NÄHE / AUF BRETTERN / DIE DIE WELT BEDEUTEN KÖNNEN / HIER IST ALLES MÖGLICH / HIER KANN ICH ALLES TUN / ALLES SEIN / AUSPROBIEREN / JEDEN TRAUM / OHNE KONSEQUENZEN / ANGSTFREI –



 „Sonne“ aus „Ratten oder das irre Lächeln der Sterne“

................ Wir wollen keine Kinderzimmer, Kindergärten oder Schulen, die uns keine Freiräume mehr lassen – wir wollen keine eigene Welt.

................. Wir wollen an die Hände genommen werden. Ihr solltet uns die Welt zeigen, wie sie ist.

................ Aber ihr wart mit eurer eigenen Welt beschäftigt, mit Ratenzahlungen, Häuserbau, Autos oder Schönheitsoperationen und habt selbst die Wirklichkeit vergessen.

................. Aber du hast dich durchgekämpft durch deine Kindheit, deine Jugend, durch Enge, und Einsamkeit. Und dann stehst du plötzlich da, deine Faust himmelwärts und du willst dein Leben in die Hand nehmen, du glaubst deine Zukunft in den Händen zu haben.

................. Die Sonne scheint dir in die Augen, alles brennt in dir, wartet auf die Freude, auf die Lust endlich losgelassen worden zu sein, endlich wirklich das zu tun, was du wirklich willst. Und dann ...

................. Und dann läufst du los, läufst in Leere, gegen Wände, ins Vakuum, oder glaubst im Treibsand zu versinken.

................. Und über dir diese verdammte Sonne, die alles zu verbrennen scheint. Sie scheint heute, scheint morgen, sie hat geschienen, als ich laufen lernte, als ich geboren wurde, als meine Eltern miteinander schliefen.

................. Sie hat geschienen über Sarajevo, über Beirut, über Vietnam, über Hiroshima, als die A-Bombe fiel.

................. Sie hat geschienen, als Hitler die Juden vergasen ließ, als die Soldaten des Ersten Weltkriegs in den Schützengräben krepierten. Sie schien, als Jesus ans Kreuz geschlagen wurde.

................. Und sie hat sich nicht verändert, ihre Strahlen haben nichts verändert, konnten nichts verändern.

................. Sie hat geschienen auf Mörder, auf Vergewaltiger, auf Diebe und Betrüger, auf Lügner, Folterer und Volksverführer.

................. Warum macht sie keinen Unterschied? Warum verdunkelt sich nicht der Horizont, warum fallen nicht Blitze vom Himmel, oder stürzen Fluten aus den Wolken?

................. Wo ist die Moral? Wo ist die Wahrheit? Wo die Gerechtigkeit? Wo ist Gott?



 „Erinnerungen“ aus „Ratten oder das irre Lächeln der Sterne“

.................  Über Erinnerungen willst du reden?

.................  Warum nicht

.................  Erinnerungen sind Leichen

.................  Aus Staub und Asche entsteht Leben

.................  Kirchgänger?

.................  Ach, fick dich. Es gibt mehr als ein göttliches Prinzip!

.................  Wir könnten über unsere wichtigsten Erinnerungen reden?

.................  Erinnerungen? Was soll das denn?

.................  Warum nicht? Haste mal drüber nachgedacht?

.................  Und was bringt das?

.................  Vielleicht lernst du was über dich!

.................  Meine erste Erinnerung? Meine Mutter sitzt auf einem braunen Sessel in einer Ecke unseres Wohnzimmers, den Kopf in den Händen und weint. Mein Vater steht vor und redet auf sie ein – irgendwie kalt. Mich beachtet keiner. Ich muss 1 ½ Jahre alt gewesen sein
 

.................  Mein Vater geht: es war meine schlimmste Befürchtung als Kind. Und ich seh ihn noch, verzweifelt mit Tränen in den Augen im Flur stehen, meine kleine Schwester klammert sich an sein Bein und weint. Ich steh wie angewurzelt, meine Mutter hinter mir keifend

................. Ich liege im Bett – allein, es ist dunkel, spät, sehr spät. Ich warte auf meine Mutter. Kann nicht schlafen, konnte nie schlafen, wenn sie nicht da war. Dann höre ich sie, höre sie am Klang ihrer Schritte, dass sie unsere Straße hinuntergeht. Schöner den Klang ihrer Absätze zu hören, als ihre Berührungen zu spüren

.................  Hatte nur einen Moment von Ausgelassenheit, von wirklicher kindlicher Fröhlichkeit, als mich ein Freund meiner Mutter, wer weiß welcher, in die Luft warf. Ich muss schon fast 10 gewesen sein, als ich mich das erste Mal als Kind fühlen durfte

.................  Heute noch überkommt mich ein Gefühl meiner Kindheit, das Gefühl von ungeheurer Einsamkeit, wenn ich das Schreien der Krähen höre auf ihrem Weg über die Stadt zu den im Park gelegenen Schlafbäumen

.................  Ich kam aus den Ferien zurück, schaute in den Spiegel, sah mich und eine tiefe Trauer rührte mich zu Tränen

.................  Als mein Vater starb, nur eine Idee von ihm, nicht eine zärtliche Berührung seinerseits

.................  Meine Großmutter war meine wahre Mutter. Meine Eltern blieben schemenhaft in ihren Posen oberflächlichen Scheins

.................  Eine Freundin sagte: Ich glaube, du kannst dich über nichts wirklich freuen. Den Abend weinte ich wie ein Schlosshund. Es war egal worüber, aber ich hatte zum ersten Mal das Gefühl von Befreiung und Losgelassensein

.................  Mein älterer Bruder versuchte mich häufig spielerisch mit einem Kissen zu ersticken. Verzweiflung und Ausgeliefertsein – meine Eltern griffen nie ein, trotz meiner Todesängste

.................  Mein Vater schlug mich, weil er meinte, ich hätte gestohlen. Meine Beteuerungen waren nichts, aber auch gar nichts wert. Er glaubte mir nicht. Seit diesem Tag bin ich Gerechtigkeitsfanatiker, aber ich hab ihn danach beklaut, wo ich konnte

.................  Warum sprach sie nicht, wenn meine Mutter etwas von mir wollte? Warum saß sie immer nur da und erwartete von mir. War ich es nicht wert, dass man mit mir ernsthaft redete?

.................  Mein Vater hätte mich nur einmal bitten brauchen zu ihm zu kommen, aber er war zu stolz oder zu verbittert. Und so starb er allein und ich konnte mich nie von ihm oder von meiner Kindheit verabschieden. Auch darum hatte er mich betrogen



TRÄUME
A Du träumst!
B Bitte?
A Du träumst, sag ich
B Warum nicht, stört es dich?
A Träume sind verlorene Zeit
B Nicht zu träumen ist verlorene Zeit!
A Ich hab schon lange nicht mehr geträumt, ich hab es mir verboten. Zeit ist kostbar
B Mein Freund, was kosten Träume? Ich hab mir diesen Luxus erlaubt, ausdrücklich!
A Freund? Du nennst mich Freund?! Das habe ich schon lange nicht mehr gehört. Was für ein Klang in diesem Wort
B Das du dir dafür Zeit nimmst, Klänge in einem Wort zu suchen
A Du hast Recht, verlorene Zeit, wie das Träumen
B Adieu
A Halt! Warum gehst du? Warum läßt du mich allein?!
B Ich kann dich nicht allein lassen! Du bist allein und du wirst es bleiben
A Vielleicht hast du Recht, vielleicht ist es besser so. Dann hab ich mehr Zeit .... aber Zeit wofür?


ABSCHIED
A Ich werde dich verlassen
B Schön
A Du nimmst mich nicht ernst
B Warum sollte ich nicht
A Weil du sonst fragen würdest, weshalb ich dich verlasse
B Also gut, warum verläßt du mich
A Weil du mich nicht ernst nimmst
B Aber ich hab dich doch gefragt, warum du mich verläßt
A Das ist etwas anderes
B Ich versteh dich nicht
A Das ist es, genau das ist es, du verstehst mich nicht
B Ich denke, ich nehme dich nicht ernst
A Das auch
B Du bist mir zu kompliziert. Ich glaube, ich werde dich verlassen
A Das kannst du nicht
B Und warum nicht, bitteschön?
A Weil ich dich schon verlassen habe
B Du läßt mir wirklich keine Chance


SELBSTERKENNTNIS
A Seit gestern weiß ich endlich Bescheid
B Bescheid über was?
A Über mich
B Du hast dir Gedanken über dich gemacht?
A Warum bist du denn so erstaunt? Hast du mir das nicht zugetraut?
B Wenn ich ehrlich sein soll, dann nicht
A Du scheinst nicht viel von mir zu halten
B Erstaunt dich das?!
A Wenn ich ehrlich bin, nein
B Bitte?
A Was ist?
B Das hätte ich nicht von dir erwartet!
A Was hättest du nicht von mir erwartet?
B Das du dich so genau kennst
A Ich sag doch, ich weiß Bescheid über mich


GEFUNDEN
A Ich hab nach dir gesucht
B Gut, jetzt hast du mich gefunden
A Sehr lange hab ich dich gesucht
B Wenn du nichts besseres zu tun gehabt hast
A Es war das schönste, was ich mir vorstellen konnte
B Und was machen wir jetzt, da du mich schlußendlich gefunden hast?
A Wir könnten zusammen leben
B Warum nicht, besser als auf dich zu warten
A Du hast auf mich gewartet?
B Irgendwie schon, du hast mich ja auch gesucht
A Und gefunden
B Richtig
A Siehst du
B Ist das Liebe?
A Weiß nicht
B Du mußt es doch wissen, schließlich hast du nach mir gesucht
A Liebe ist so ein großes Wort
B Ich glaube, du liebst mich nicht. Und ich habe auf dich gewartet
A Aber ich habe dich doch gefunden
B Kein Wunder, schließlich bin ich auch nicht fortgelaufen
A Weißt du, ich denke, ich hätte dich nicht suchen sollen
B Typisch, und mich warten lassen

HASS
A Wenn ich dich nur hassen könnte
B Möchtest du?
A Ich würde es mir wünschen. Es würde mir vieles leichter machen
B Was kann ich tun, um dir zu helfen?
A Du könntest mich betrügen
B  Das kann ich dir nicht antun
A Siehst du, du bist zu nett zu mir
B Entschuldige, ich werde es bestimmt nicht mehr tun
A Dann schlag mich jetzt
B Ich dich schlagen? Du verlangst zuviel von mir
A Da hab ich schon mal einen Wunsch und du willst ihn mir nicht erfüllen
B Wäre das nicht ein schöner Grund um mich zu hassen?
A Recht hast du
B Schön, daß ich dir helfen konnte
A Verdammt, du kannst es einfach nicht lassen


FREUNDE (aus „PEGASUS“)
A Darf ich dich mal stören?
B Was gibt’s?
A Du kannst dich an das Mädchen erinnern, das ich getroffen habe
B ... ja und
A ... also
B Du hast ein Problem?!
A Ja
B Du willst, sie nicht
A Nein!
B Sie will, du nicht
A Nein!!
B Bist du kompliziert
A Sie will und ich auch
B Hey, ne neue Variante. Und wo ist das Problem?
A Ich weiß nicht, wie
B Ach ...
A Nein, nicht das
B Nein?!
A Nein, jetzt ernsthaft. Ich glaube, wir lieben uns
B Ihr habt euch ineinander verliebt
A Nein, wir lieben uns wirklich
B Wo ist das Problem??
A Sie ist anders
B Anders?
A Anders!
B Sie hat Geld
A Richtig, woher weißt du?
B Erfahrung, mein Freund, Erfahrung. Und du willst mit ihr schlafen
A Ja, und sie mit mir, glaube ich
B Dann los!
A Einfach so?
B Einfach so!
A Nein!
B Doch, sie wartet nur darauf
A Ja? Aber ...
B Ja! Nichts aber, glaube mir!
A Du bist ein echter Freund, was sollte ich nur ohne dich tun


MARIE & LEON  (aus „TITANIC, der alltägliche Untergang“)
Marie
Leon? Leon?! Warum sprichst du nicht mehr mit mir? Ist es nicht verdammt an der Zeit zu reden ... wieviel Zeit wird uns noch bleiben, bis  wir unsere...

Leon
Sonnenstrahlen fallen auf den Boden. Es scheint Tag zu sein.

Marie
Dein Lächeln macht nervös, entsetzlich nervös

Leon
Warum sollte ich nicht lächeln, wenn die Sonne scheint

Marie
Es ist nicht unsere Sonne, Leon , es ist um Gotteswillen nicht unsere Sonne... es ist das Tageslicht unserer Mörder

Leon
In der Sonne sollten wir tanzen, tanzen bis in den Tod, tanzen bis unsere Füße bluten. Jesus blutete in den Händen...

Marie
Jesus? Das ist nicht unser Gott. Jesus ist der Gott dieser Mörder, die in diesem Land die Macht in Händen halten, in Händen, die Krallen ähneln

Leon
Hast du das Grün der Bäume gesehen als wir durch das Wäldchen gefahren sind. Ein so leichtes Grün, wie dein Kleid, das du letzten Sommer getragen hast. Ich hab mich gefragt, wenn ich ein Maler wäre, wie einer dieser französischen Maler, ich weiß nicht, wie sie heißen, wie... könnte ich ...dieses Grün malen, diese Farbe ....finden

Marie
Leon, ich denke, du solltest ein wenig schlafen. Erschöpft wirkst du.

Leon
Schlafen? Ich weiß noch  nicht einmal, ob ich jetzt wach bin, ob dieser Wahnsinn, in dem ich leben muß, überhaupt einen Platz in der Wirklichkeit hat

Marie
Wir müssen nicht in ihm leben, wir könnten ihm entfliehen... ihm ein Ende setzen

Leon
Selbstmord?

Marie (zögerlich, ein Ja meinend)
Nein....

Leon
Gut, denn ich mag nicht an Selbstmord denken, würde Gott uns vergeben

Marie
Ich frage mich, ob ich Gott vergeben kann. Wie kann er all dieses Unrecht zulassen, all diese Unmenschlichkeiten

Leon
Es gibt keine Unmenschlichkeiten! Dadurch daß, es passiert, dass es tatsächlich geschieht, ist es menschlich. Marie, vielleicht ist es doch besser, vielleicht sollten diesem ein Ende setzen, ich fühle soviel Trauer in mir, soviel Müdigkeit

Marie
Aber wir sind noch so jung, was haben wir schon erlebt

Leon
Reicht es nicht, was wir erlebt haben. Wie alt muß man denn sein, um das Recht zu haben Leiden nicht länger ertragen zu wollen, oder unbändige Rache in sich zu spüren

Marie
Die beste Rache ist es, wenn du überlebst, wenn du ihnen zeigst wieviel Leben in dir ist.

Leon
Marie, was können wir denn anderes tun, als zu überleben

Marie
Was für ein Gedanke, Rache zu üben, nur indem man lebt, indem man ihnen zeigt, daß man atmet, daß unser Herz noch schlägt

Leon
Weißt du was mir Angst macht... ich hab sowenig Haß in ihren Augen gesehen, sie töten so automatisch, so gefühllos. Ich glaube, ich könnte leichter sterben, wenn sie mich hassen würden, wenn ich ihren Haß sehen könnte, obwohl ich nicht weiß, was wir ihnen angetan haben sollen

Marie
Ich glaube, sie wissen selbst nicht warum. Sie tun es, weil es einer befohlen hat, oder weil sie glauben wollen, es hat einer befohlen

Leon
Es sind schon merkwürdige Menschen wir Deutschen. Wenn  ich an unsere Komponisten denke, an unsere Schriftsteller, soviel Feingefühl, soviel Weitsicht und dann diese unfaßbare Brutalität und Gleichgültigkeit. Es kommt mir vor, als würde  ein Volk für den Verlust seiner Träume an der ganzen Menschheit Vergeltung üben...

Marie
...und in diesem Teufel ihren letzten Retter sehen

Leon
Wann nur werden sie aufwachen

Marie
Wenn es zu spät ist, Leon, wenn es zu spät ist.



ICH FINDE MICH MANCHMAL SO ...!?
warum bin ich so
was tue ich überhaupt
und warum
ist nicht alles sinnlos?
aber vieles ist mir nicht egal
was mich betrifft!
warum sind mir andere so scheißegal
manchmal fühle ich mich hilflos
warum ist keiner da?
bin ich für andere da
wenn es ihnen schlecht geht?
hat mich einer gefragt ob ich leben will?
aber da bin ich
aber da sind andere
die haben dieselben probleme und fragen wie ich!
warum frage ich sie nicht
warum geben sie mir keine antworten?
habe ich eine antwort?
und immer das gefühl
ich muß mich beweisen
ich darf keine schwäche zeigen
ich muß stark sein!
sind denn alle anderen stark
sind denn alle anderen besser als ich
sind alle anderen fehlerlos?
nein
natürlich nicht
ganz bestimmt nicht!
aber warum sind sie so
bin ich so
scheiße drauf?
seit tagen versuche ich auf mich zu hören
meine gefühle
liebe, hass, angst, einsamkeit
ich habe geredet
mit meinen nachbarn, mit meinen freunden
mit mir ...


HAST DU WAS?
a sag mal is was ?
b nö
a wirklich nicht ?
b wirklich nicht
a wirklich nicht?
b nein
a komisch ich dachte du hast was
b was sollte ich denn haben ?
a naja könnte doch sein oder?
b ja, könnte sein
a siehste, du hast also doch was
b nein ich hab nichts
a aber du hast doch gesagt es könnte sein
b könnte ja auch is aber nicht
a sicher ?
b sicher
a du guckst aber so komisch
b ich guck nicht komisch
a du guckst doch komisch
b wenn du meinst
a ja, mein ich -
a nun sag doch schon warum du so komisch guckst
b verdammt, ich guck nicht komisch und ich hab auch nichts
a doch
b nein  (3X wdh.)
a wohl
b nein sag ich
a äh. ..
b halt jetzt endlich die klappe, nein ein für allemal, ich hab nichts und jetzt laß mich endlich in ruhe, du nervensäge (ab)
a siehste, hab ich doch gesagt, du hast doch was!


STERNE
A Da ging die Nacht auf, und ich sah die Sterne, doch konnte ich sie nicht begreifen
B Und weiter?
A Da beschloß ich sie zu deuten
B Was sahst du?
A Das Ergebnis war, das ich das Firmament einreißen wollte
B Warum das?
A Weil ich es bedrohlich glaubte
B Bedrohlich? Etwas anderes schien dir nicht glaubhafter?
A Nein
B Ja und?
A Doch waren meine Bemühungen fruchtlos. Und die Angst blieb
B Deine Angst blieb? Welche Angst?
A Die Angst, daß mir der Himmel auf den Kopf fallen würde
B Ja, hättest du nur die Sterne für die Sterne genommen

CHRISTINE  (aus „JULIE& JEAN“)

Es ist mir manchmal zumute,
als würde man den Himmel über mir fortnehmen,
die Sonne verdunkelt, die Wolken vom Winde zerrissen,
mich friert in meiner Haut.
Verliere das Gefühl der Geborgenheit in dieser Welt,
jeden Schutz, jede Unbefangenheit.
So mutterverloren, so vaterentfernt,
ausgeliefert jeden Unbillen dieses täglichen Atemholens,
das ich mir nicht aussuchen konnte.
Chancenlos den Fall der Blätter aufzuhalten,
den stetigen Fluß der Wasser zu dämmen,
die Höhen des Gebirgs zu ebnen.
Warum ergreift keiner meine Hand -
nur ein Arm, der mich hält.
So klein in erbarmungslosen Stürmen,
so wortlos in einem Land dessen Sprache man nicht spricht,
unausweichlich sein Schicksal auf sich zukommen zu sehen,
hoppla (läßt Glas fallen) –
nur die freie Auswahl in der Tombola seines Todes.


Monica (aus „The City – Rauch in den Straßen, Feuer in den Herzen“)
MONICA (allein, FELICIA steht im Gegenlicht)
Es ist alles meine Schuld, verzeih mir. Ich hab es gewußt, ich hab es gespürt, daß sie kommen würden. Meine Hände haben gezittert, als ich dir beim Kofferpacken geholfen habe. Meine Gedanken waren so flüchtig, mein Blick konnte sich an nichts festhalten. Ich war voller gehetzter Furcht.
Warum habe ich nur nicht auf mein Gefühl geachtet?! Haben sie bereits unseren menschlichen Instinkt getötet?
Felicia, ich hätte dich an den Händen nehmen und ohne Zögern aus dem Haus führen sollen. Es ist meine Schuld, vergib. Aber, ob ich mir jemals vergeben kann?!
Als ich ihre schweren Schritte die Treppe heraufstürmen hörte, ihre Fäuste die Tür aufrissen, hätte ich mich ihnen in den Weg werfen müssen.
Sicher, was hätte ich für eine Chance gegen sie gehabt. Aber ich hätte es wenigstens versuchen müssen, wenigstens versuchen.
Statt dessen stand ich wie betäubt. Mein Aufschrei blieb mir in der Kehle  stecken. Ihre Blicke waren so kalt, so verletzend kalt.
Und ihr Atem erfüllte den Raum. Ich glaubte zu ersticken. Und auch du sagtest kein Wort. Kein Laut kam dir über die Lippen, als sie nach dir griffen. Dein Gesicht, wie versteinert.
Nur deine Augen, Felicia, deine Augen blickten so traurig, so abgrundtief  enttäuscht. Keine Angst war in ihnen, nur diese unendliche Trauer.
Du wolltest mich zum Abschied umarmen, aber sie stießen dich fort.
Ich wagte nicht mehr dir in die Augen zu schauen, als sie dich abführten.
Die Tür schloß sich hinter dir ... einfach so. Kein Donner erschütterte die  Welt, kein Blitz erhellte den Horizont.
Nur das Klicken der Tür im Schloß.
Und ich ... ich konnte mich kaum an meinen eigenen Namen erinnern.
(Blackout, Vorhang)


„Gegen das Vergessen“ zum "Tag gegen Rechts"

"1. Buch Joel:
„Hört, ihr Ältesten
Horcht alle auf, ihr Bewohner des Landes!
Ist so etwas jemals geschehen
In euren Tagen oder in den Tagen eurer Väter?
Erzählt euren Kindern davon
Und eure Kinder sollen es ihren Kindern erzählen
Und deren Kinder dem folgenden Geschlecht.“

2. Buchenwald, Neuengamme, Ravensbrück, Sachsenhausen, Dachau, Stutthof, Großrosen, Theresienstadt, Mittelbau, Vught, Natzweiler, Mauthausen, Flossenbürg, Bergen-Belsen

3. „Die Welt ist viel zu gefährlich,
um darin zu leben –
nicht wegen der Menschen,
die Böses tun,
sondern wegen der Menschen,
die daneben stehen und
sie gewähren lassen,“ Albert Einstein

4. Majdanek 235 000
Sobibor 250 000
Chelmo 320 000
Belzec 600 000
Treblinka 900 000
Auschwitz-Birkenau über 1 100 000
... Opfer des rechten Terrors im Dritten Reich.

5. Und es sterben wieder Menschen,
hier und heute,
Männer, Frauen, Kinder,
Väter, Mütter, Töchter, Söhne
Nur aus einem einzigen Grund,
weil sie anders sind!
Die Täter haben nichts gelernt, wollen nichts lernen ...
„Die Qual der Afrikaner ist nicht schwarz,
der Schmerz der Asiaten nicht gelb,
der Hunger der Indianer nicht rot.
Sie lachen und weinen wie du.
Ihre Angst kennt nur einen SCHREI,
leise oder laut,
in tausend Sprachen.“
Und die Unschuld ist nicht weiß!

6. Und es leiden und sterben wieder Menschen:
Hünxe, Hoyerswerda, Mölln, Guben, Rostock ....

7. Sag`s weiter,
Sag´s den Eltern,
Sag`s den Kindern,
es reicht nicht aus
zu warten, bis es brennt,
um Feuer zu schreien.
Sag`s weiter,
Sag`s Brüdern,
Sag`s Schwestern,
Es ist falsch,
Am Tag nach dem Feuer
zu schweigen,
Die Brandstifter trauen sich
Hervor aus den Verstecken;
Schreit jetzt.
Sag`s weiter,
Sag`s Freunden,
Sag`s Geliebten,
Es reicht nicht aus zu warten,
Bis es wieder brennt."


copyright JOCHEN K.GERBERDING 2004